Künstlerische Positionierung

Gesammelte Gedanken zu Musik und dem Kompositionsprozess (2018-2019)

            Komposition bedeutet für mich Freiheit. Kunstformen sind, allgemein gesagt, Plattformen für das freie Ausdrücken eines Künstlers. Kunst trägt diverse Bedeutungen in sich, die sich unter verschiedenen Umständen und in unterschiedlichen Situationen verändert beziehungsweise ändern können. Um die Komposition und die Rolle, die sie in meinem Leben spielt, ausführlich und klar auszudrücken, möchte ich die Kunst als Folgendes bezeichnen: 

Kunst ist nicht nur die Beschäftigung und Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen und persönlichen Problemen, Fragen und Unklarheiten, sondern auch eine Methode der Expression des Wissens, Wollens und der Gefühle eines Individuums.

Das Ausdrücken des Wissens und Wollens durch die Komposition

            Was meine ich, wenn ich sage, dass ich mein Wissen durch die Komposition ausdrücken und zeigen kann? Vielleicht fange ich anders an und sage was ich damit nicht meine. Ich meine nicht, dass ich ein Buch über Astronomie lese könnte und anschließend ein Unterschied in meinen Kompositionen bemerkbar wäre. Es geht nicht darum, dass das neu gelernte und gesammelte Wissen direkt als etwas Hörbares übertragen wird, aber im Laufe der Zeit, wie zum Beispiel der Anfang meines Studiums verglichen mit heute, fand eine nicht übersehbare musikalische Reifung statt. Es war eine Reifung, die sich in allen Bereichen meiner musikalischen Arbeit finden lässt; von dem Konzept und Hintergrund eines Stückes über die Entwicklung meiner Klangwelt und Harmonik bis zu meinem Umgang und meiner Verwendung von Instrumenten. Ein sehr klares und einfaches Beispiel wäre, wenn ich das erstes Stück meines Studiums ‚Rain‘ mit meinem aktuellen Orchesterwerk ‚Reminiscence‘ (2018/2019) vergleiche.

            ‚Rain‘ ist eine Komposition mit der ich vor dem Beginn meines Studiums angefangen habe. Der Kompositionsprozess fing damals mit dem Aufschreiben und Nachmachen von Naturereignissen, unter anderem das Quietschen von Vögeln, das Vorbeifahren einer Straßenbahn, ein bellender Hund und so fort, an. Aus den gesammelten akustischen Materialien habe ich eine Zwölftonreihe entworfen und aus den rhythmischen Materialien eine Art rhythmische Reihe, die aus vierundzwanzig Sechzehntel bestand, die sich immer wiederholten. Bei jedem Durchgang der rhythmischen Reihe fand eine Permutation der Dauer der klingenden Töne statt. Diese Materialien habe ich dann ‚rücksichtslos‘ und rein mathematisch auf vier Streichinstrumente übertragen. Dieses Missachten von Instrumentation und Klanggestaltung würde ich heutzutage für unerfahren und naiv halten. Ich würde nicht so weit gehen, diese Art von Materialverwendung als schlecht oder ‚dumm‘ zu bezeichnen, aber das bewusste Umgehen mit musikalischen Mitteln ist ein extrem wichtiger Bereich, in dem Komponisten sich sehr vorsichtig und achtsam verhalten müssen. 

            Auf der komplett anderen Seite, steht mein aktuelles Orchesterwerk im Mittelpunkt der Betrachtung. Die Grundidee für diese Komposition ist die Verwandlung melodischer Linien, die sich vermehren, verdichten, „ver-schichten“ und verzahnen und dadurch zu Klangschichten werden (Klang im Sinne von Klangkomposition). Bevor ich anfing, das Stück auszukomponieren, als ich noch am Entwerfen und Konstruieren der Struktur war, hatte ich sehr klare klangliche Vorstellungen von Entwicklungsprozessen musikalischer Motive sowie Instrumentenmischungen und -verfärbungen.

            Im ersten Abschnitt fängt die Bassflöte mit einer von drei Melodien an, die nach deren versetzten Einsätzen in verschiedenen Stimmen und mit unterschiedlichen Instrumentenverdopplungen zusammen zu einer sehr dichten Klangschicht entfaltet werden. Kleine klangliche Feinheiten wie z.B. das pizzicato in dem Violoncello als Verstärkung und Verfärbung der Bassflöten tongue-rams ganz am Anfang oder der Bläserteppich als Ausfüllung der ersten dichten Passage (siehe ab Buchstabe „C“), sind nur zwei nicht sehr besondere Beispiele von Ereignissen, die ich mir im Voraus ausgedacht habe. Solche Ideen kommen sehr häufig in diesem Werk vor. 

            Alles was ich hier erwähnt habe, soll Komponisten logisch vorkommen. Ich beschreibe eigentlich nur verschiedene Teile des Kompositionsverfahrens. Was ich aber damit sagen möchte ist, dass es alles Dinge sind, die ich ausprobieren, erfahren und lernen musste, um diese verwenden, ein- und ausarbeiten zu können. Mit solchen Gedanken habe ich in meinen früheren Werken nie bewusst gearbeitet. 

            Sowohl das Lernen als auch mein Umgehen mit der Komposition und Musik wird sich im Laufe der Jahre immer weiter entwickeln, verändern, und entfalten. Die kompositorischen Feinheiten und Verfärbungen sowie mein allgemeines Verständnis und meine Wahrnehmung von Komposition, die in der Zukunft in meiner Musik vorkommen wird, werden meiner Meinung nach zu weiteren Beispielen führen, durch die das ‚Wissen‘ mittels der Kunst porträtiert werden kann.

 

Ein Gedanke zum Konzeptualismus in Bezug auf die Komposition

            Um Missverständnisse zu vermeiden möchte ich als allererstes für diesen Aufsatz die Komposition von der ‚musikalischen‘ Komposition unterscheiden. Die Komposition an sich kommt in mehreren Kunstformen vor und ist an sich kein rein musikalisches Verfahren. Ich möchte deswegen die ‚musikalische‘ Komposition wie folgt definieren: 

           ‚Musikalische‘ Komposition ist das Erfinden, Erarbeiten und Entwickeln von Klängen, um dies in einen sinnvollen Kontext zu bringen und darzustellen.

            Früher wurde gesagt, dass die Komposition aus den musikalischen Parametern der Melodie, der Harmonie, des Rhythmus und der Form bestehe. Heutzutage finde ich es erforderlich, die Gestaltung, den Klang sowie die Klanglichkeit und die Geräusche noch zu den existierenden Parametern hinzufügen.

            Die Parameter, die zu der musikalischen Komposition gehören, sind in der Gegenwart durch individuelle Kriterien sehr unterschiedlich geworden. Weil das der Fall ist, ist die dünne Grenze zwischen meiner Definition der musikalischen Komposition und der ‚konzeptualistischen‘ Komposition untrennbar geworden. Die Parameter haben die Kapazität, unendlich zu sein, was auch das Schöne an der Vielfältigkeit der Komposition ist. Dies kann aber zugleich schnell zu Missverständnissen führen. Meiner Meinung nach dürfen alle Parameter verwendet werden, die mit dem Klanglichen zu tun haben, allerdings in einer sinnvollen Art und Weise. Die Toleranzgrenze liegt genau dort, wo ein konzeptuelles Ereignis benutzt wird, das aber nicht mehr die Musik unterstützt, sondern ihr etwas wegnimmt. Ein Beispiel, bei dem genau das passiert ist:

            Vor anderthalb Jahren habe ich ein Stück für Klavier, Cello, und Geige von einem jungen Komponisten im Konzert gehört. Die Musik an sich war nichts ‚Revolutionäres‘, hat aber mindestens halbwegs eine musikalische ‚Klangwelt‘ geschaffen. Ungefähr in der Mitte des Stückes haben die Musiker plötzlich aufgehört zu spielen. Die Geigerin nahm ein selbst zusammengebasteltes Plastikkügelchen in die Hand, warf es auf den Boden, fing an im Kreis zu laufen und gleichzeitig die Kugel vor sich ‚herzukicken‘. Nach einer Weile, kam sie wieder an ihr Pult zurück und die Musiker fingen erneut an weiterzuspielen. 

            Der Bruch in der Musik war störend, das Herumlaufen war mir persönlich ein unnötiges Rätsel und das Geräusch von der Kugel unpassend. Was mich aber dabei am meistens irritiert hat, war die Sinnlosigkeit und der banale Versuch etwas ‚Neues‘ zu machen. Die gesamte Stelle hat nur die Musik verletzt und den Zuhörer desorientiert. Vielleicht hätte ich diesen Unsinn noch akzeptiert, wenn der Komponist eine Erklärung oder einen Grund dafür gegeben hätte, aber das Einzige, was er in einem anschließendem Plenum sagen konnte, war, dass es zu seinem Konzept gehörte…das Konzept konnte er aber auch nicht erklären. Das bringt mich zu der Frage, was heutzutage unter Konzeptualismus verstanden wird. 

            Dadurch, dass es nicht nur viele verschiedene Meinungen und Definitionen gibt, sondern sich die Bedeutungen und Bezüge auf dieses enorm große Thema stetig verändern, ist der Konzeptualismus immer abhängig von seiner Kontextualisierung. Ich möchte hier meine Interpretation des Konzeptualismus vorstellen:

            Konzeptualismus ist eine künstlerische Darstellung, Durchführung, und/oder Ausübung von Ideen und Gedanken eines Individuums, bei denen das Konzept selbst im Vordergrund und weniger das daraus entstehende klangliche Resultat. 

            Direkt in Bezug auf die musikalische Komposition fängt mein Problem genau dort an, wo das Konzept gegenüber der Musik und dem klingenden Ergebnis bevorzugt wir. An diesem Punkt möchte ich ganz radikal sagen, dass das keine musikalische Komposition ist. Ein konzeptualistisches Werk darf etwas mit Musik oder Klang zu tun haben, es darf auch wohl ‚komponiert‘ sein. Ich halte das fertige Produkt trotzdem für keine ‚musikalische‘ Komposition, sondern eine Komposition, die sich mit dem Klang und/oder der Musik auseinandergesetzt hat.

 

            Dissonanzbehandlung als Beispiel in Bezug auf bewusstes Komponieren 

            Wenn damals in der Renaissance ein dissonantes Intervall vorgekommen ist, z.B. ein Sekundvorhalt in einer Kadenz, gehörten dazu bestimmte Bedingungen und Regeln, die auf jeden Fall beachtet werden ‚mussten‘: wurde die Dissonanz vorbereitet, auf welcher Taktzeit kam sie vor und wurde sie richtig aufgelöst. Je nachdem, in welcher Zeit der Musikgeschichte man sich befunden hat, ist man als Komponist dementsprechend mit solchen musikalischen Situationen umgegangen. Heutzutage befinden wir uns in einer Zeit, in der die sogenannte Zeitgenössische Musik die ‚klassische‘ Komposition übernommen hat. Zeitgenössische Musik ist eine richtig schöne Sache, weil wir als Komponisten nicht nur die vielfältigsten Möglichkeiten von Instrumenten, Gegenständen, Elektronik und deren erzeugbaren Geräuschen, Klängen und Farben zur Verfügung haben, sondern auch die Flexibilität und die Freiheit, wie wir mit diesen Mitteln umgehen dürfen. Dies ist ein besonderes Privileg, allerdings kommt mit diesem Privileg ein sehr hoher Anspruch auf eine verantwortungsvolle Umgangsweise, die aber viel Zeit braucht, um von uns Komponisten bewusst erreicht zu werden. Mit dieser quasi unendlich verfügbaren Bibliothek von Möglichkeiten, muss man als Komponist umso mehr sorgfältig, bewusst und vorsichtig die einzelnen Elemente behandeln. Wenn ich zu meinem Beispiel über die Dissonanzbehandlung zurückkehre, müssen wir mit unseren Kompositionen in einer ähnlichen Art und Weise umgehen. Es geht nicht darum, dass wir ein immer wieder auftretendes Ereignis oder Problem fortsetzten oder auflösen müssen, sondern dass wir bewusst und zielgerichtet das Ereignis weiterführen können, damit es einen Sinn ergibt und die Struktur unberührt und intakt bleibt.